London Grammar
Biography London Grammar
London Grammar
Wer behauptet, in den Songs von London Grammar passiere nicht viel, erweist ihnen damit keinen schlechten Dienst. Im Gegenteil: Wenn man sich mit Hannah Reid, Dot Major und Dan Rothman unterhält, wird schnell klar, dass sie dies durchaus als Kompliment verstehen würden, denn was die drei an Musik besonders schätzen, sind Raum, Understatement und sogar Stille, falls ein bestimmter Song sie gerade braucht. Diese Herangehensweise – "eigentlich muss man es 'Besessenheit' nennen", korrigiert Hannah – führte zu einem Debütalbum, dessen emotionale Wirkung den musikalischen Inhalt der Songs sprengt.
Das Ergebnis der 18 arbeitsreichen Monate des Schreibens und der Aufnahmen sind elf Titel, die von einem ganz eigenen Verständnis des Trios dafür zeugen, dass Feinsinn, Kontrast und Zurückhaltung bei der Entstehung von großer Musik schon immer eine wichtige Rolle gespielt haben. "So hat alles angefangen", sagt Dan, "und es war immer unser erstes Ziel, der Musik Raum zu lassen. Die Art und Weise, wie zum Beispiel Gitarre und Gesang interagieren, ist uns extrem wichtig."
Dieses Zusammenspiel konnte man zum ersten Mal im vergangenen Dezember hören, als das Trio den Titel "Hey Now" online stellte. Ein grübelnder, fesselnder Song, der die Intention von London Grammar sozusagen als Leitsatz zusammenfasst: Dans zurückhaltendes, minimales Gitarrenspiel und Dots zärtliche Klaviertöne und untermalende Perkussion sind gezielte Klangbomben, die zwar stets kurz vor der Explosion stehen, aber niemals detonieren und so die Spannung erhalten. Die akustische Architektur steht voll und ganz im Dienste des Songs – und des Gesangs.
Sprechen wir also über diesen Gesang: Das vielleicht Liebenswerteste an Hannah ist, dass ihr völlig unbewusst zu sein scheint, was für eine außergewöhnliche Sängerin sie ist. Kristallklar und doch voller Vibrato, vertrauensselig und doch abgeklärt, gebieterisch und doch verletzlich übersetzt Hannahs Stimme die Klangbilder, die die Band im Studio entwirft, in pure emotionale Realität. Um es mit Dots Worten auszudrücken: "Ich weiß, dass dieses Wort oft missbraucht wird, aber ich denke, dass Hannahs Stimme wirklich einzigartig ist."
Die im Februar veröffentlichte EP "Metal & Dust" folgte "Hey Now" dicht auf den Fersen, bohrte mit dem Messer noch tiefer in der Wunde und verstärkte den Eindruck, dass hier eine Band heranreifte, die etwas ganz Neues und Überzeugendes zu erzählen und gleichzeitig den Mut hatte, dies so sparsam wie möglich zu tun.
Spätestens mit Erscheinen der Single "Wasting My Young Years" gab es keine Zweifel mehr an der Bedeutung von London Grammar. Überwältigend präzise in Text und Musik, lässt der Song eher Andeutungen fallen, als dem Hörer ins Gesicht zu schreien. Dabei fängt die düstere, traurige alte Seele des Titels all das ein, was die Weniger-ist-mehr-Philosophie der Musik dieser Band so fesselnd macht. Die Begeisterung war bereits kurz nach der Veröffentlichung riesengroß, und die Menschen begannen, über die Band zu sprechen und sich bei Konzerten zuzuraunen: "Hast Du den neuen Song von London Grammar schon gehört?" und man wurde sich allmählich bewusst, dass man jenen aufregenden Moment miterlebte, bevor eine Band richtig durchstartet.
Hannah, Dot und Dan lernten sich an der Uni kennen und freundeten sich durch den Spaß an der Musik an – oder besser gesagt: durch den Drang, Musik machen zu müssen. Inzwischen necken und zanken sie sich wie alle alten Freunde und, wie Dan es ausdrückt, "streiten sich mit Händen und Füße über nur eine Sache, nämlich darüber, was das Beste für die Songs ist. Aber nicht, um Perfektion zu erreichen. In diese Falle darf man nicht tappen. Wir glauben wirklich, dass Schönheit in der Unvollkommenheit liegt."
Man sollte durch diese Bemerkung aber nicht den Eindruck gewinnen, sie würden ihre Arbeit nicht ernst nehmen. Im Gegenteil: Sie sind Perfektionisten um jeden Preis, manchmal sogar bis zur Frustration. Nicht selten – und das räumt jeder von ihnen ein – auch zur Frustration ihres Labels Ministry of Sound, das London Grammar kurz nach ihrem Abgang von der Universität von Nottingham unter Vertrag nahm und nun ihr eigenes Label Metal & Dust Recordings beheimatet.
"Wir hatten unglaubliches Glück, dass wir zu diesem Zeitpunkt entdeckt wurden", so Dan. "Wenn wir woanders unterschrieben hätten, hätte es ganz anders laufen können. Aber sie wollten uns fördern, und das war genau das, was wir gebraucht haben. Viele junge Bands haben diese Zeit nicht. Sie haben ganz deutlich gemacht, wie die Dinge laufen sollten. Sie wollten, dass wir es schaffen, aber auch, dass wir ganz von vorne anfangen." Die Bandmitglieder tauschen verstohlene Blicke. "Okay", fügt Dan mit einem Grinsen hinzu, "ich bin ziemlich sicher, dass sie dachten, dass das etwas schneller vonstattengehen würde."
Die drei lassen sich jedoch nicht hetzen, wie auch jeder weiß, der schon einmal mit ihnen zusammen gearbeitet hat. Bei der Albumproduktion brachten sie sich in jeden Bereich mit ein, stellten jedoch selbst irgendwann fest, dass es an der Zeit war, mit den Basteleien und Verbesserungen aufzuhören. "Wenn etwas nicht perfekt stimmig ist, dann sticht es für uns eben immer heraus", so Dot. "Wir sind uns recht schnell einig, etwas zu streichen, aber wenn etwas Neues dazukommen soll, gibt es eher mal Streit."
"Von uns dreien bin ich wahrscheinlich derjenige, der am ehesten sagt: 'Es ist okay so, wie es ist'", meint Dan. "Während der Arbeit am Album sind wir an einem Punkt Gefahr gelaufen, zu viel auf die Tracks zu packen und unseren Sinn für Raum zu verlieren. Wir haben dann versucht, so viel zu löschen, wie wir konnten."
"Wenn es nach mir gegangen wäre", fügt Hannah mit einem schiefen Lächeln hinzu, "wären wir wahrscheinlich immer noch im Studio. Ich bin in dieser Beziehung ein Albtraum. Wir haben dieses Jahr ein paar neue Songs geschrieben, als wir im Studio waren, um zu lernen, diejenigen live zu spielen, die wir schon hatten. Aber Dan hat uns ausgebremst. Das macht er immer."
Ihr Bandmitglied sieht das ganz anders. "Das werfen sie mir andauernd vor", sagt er mit gespielter Empörung, "weil ich so was wie der geschäftliche Kopf der Band bin. Aber es gab Zeiten während des Schreibens und der Aufnahmen, in denen ich einfach gespürt habe, dass es Zeit war, etwas zu veröffentlichen. Ich hatte das Gefühl, dass wir unseren Moment verpassen, wenn wir "Hey Now" nicht herausbringen."
Ihren Moment haben sie jedenfalls nicht verpasst. Er ist da, genau jetzt. Das Album ist – endlich – fertig, und die neuen Titel wie "If You Wait" und "Flickers" tragen eine ungewöhnliche Dualität in sich. Sie beklagen trotzig, dass Schönheit gleichzeitig eiskalt und doch von Wärme durchflutet sein kann und bergen außergewöhnliche Strukturen, Farben, Schattierungen und Zwischentöne, die kaum spürbar sind, aber dennoch eine überwältigende Kraft entwickeln.
Ihre nächste Single, "Strong", holt schließlich zum finalen Schlag aus. Wie man es von London Grammar nicht anders erwartet, baut sie sich aus dem Nichts, von einem bloßen Knochengerüst, auf, bis Hannahs wundervoller Gesang den Song zu seinem Höhepunkt hebt. Es ist einer dieser Songs, bei denen man sich am Ende bei dem Gedanken ertappt, dass sehr wenig passiert ist, sich aber alles verändert hat. "Je länger wir als Band zusammen sind", so Hannah, "desto mehr sind wir uns darüber einig, was wir machen wollen und warum. Am Ende findet man doch seinen Platz und merkt, dass auch die Musik ihren Platz gefunden hat. Man weiß es einfach."
Sie hat recht: Sie haben ihren Platz gefunden. Und jetzt sind wir dran.