Biography Pierre Favre


Pierre Favre
geboren 1937 in Le Locle, ist der grosse Poet unter Europas Schlagzeugern. Das ist schon so sehr ein Gemeinplatz geworden, dass es der Erklärung bedarf.

„Schlagzeug“ ist eines dieser schrecklichen deutschen Wörter (wie „Schmetterling“), die etwas ganz Fragiles ganz martialisch erscheinen lassen. Pierre Favre war zwar auch einmal ein traditioneller Jazz-Drummer, der time keeper mehrerer Big Bands. Aber schon früh wurde er eine der Schlüsselfiguren des europäischen Free Jazz, und zwar nicht der weit verbreiteten brachialen, sondern der fragilen Variante, immer gemäss seiner sinnfälligen Formel, Musik sei „poetry in motion“. Das meint auch: Pierre Favre ist natürlich ein starkes Temperament. Aber er ist auch ein ganzer Kosmos – ein Musiker, in dem sich wie in einem Prisma die improvisierte Musik der ganzen sechzig Jahre bricht, die er nun schon auf der Szene ist. Er hatte schon immer ein Ohr für die melodiösen Qualitäten alter Drummer, auch wo die keiner sonst hörte. Er glaubt an die Unteilbarkeit der Musik, versteht sich nicht nur als „Rhythmiker“. Er war immer ein „singender“ Drummer („Singing Drums“ hiess vor Jahren seine Produktion mit vier Perkussionisten: ihm selbst, Paul Motian, Fredy Studer und Nana Vasconcelos). Ein Melodiker zunächst in dem buchstäblichen Sinn, dass er sein Instrumentarium um um eine Vielzahl von Becken, Gongs, Glocken und alle Arten subtil gestimmter Kleintrommeln erweiterte. Dann aber auch insofern, als seine Perkussion immer organischer wurde, auf die fundamentalen kreatürlichen Rhythmen horchte: den Atem, den Herzschlag. Das Schweigen. Favre interessiert sich für die ganze Musik. Seine Partner kamen nicht nur aus dem „Jazz“ (und aus dessen unterschiedlichsten Zonen), sondern auch aus der neuen E-Musik, und vor allem aus den verschiedensten Ethnien querweltein: afrikanischer, brasilianischer, indischer, fernöstlicher Musik.

Er liebt den bedingungslos offenen Diskurs und damit kleine Formationen. Von Pierre Favre gibt es viele Duos (die mit der Sängerin Tamia und mit der Pianistin Irène Schweizer sind darunter nur die berühmtesten). Seine Vorliebe für Solo-Performances sollte uns nicht täuschen: im kollektiven Prozess ist Pierre Favre eine Art Medium. Einer, der Zeit und Raum verwandelt, dehnt und verdichtet. Der eine Aura schafft, eine Atmosphäre grosser Konzentration und gleichzeitig Entspanntheit. „Poetry in motion“ meint das Gegenteil von ungefährer Gefühligkeit. Spielerischen Ernst. Den erfüllten Augenblick. Und die Bereitschaft, sich stets auf und für’s Neue vom ihm zu verabschieden. (Peter Ruedi)

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