Vor einem Jahr feierten wir an dieser Stelle die Aufnahme von Tschaikowskis sechster Sinfonie, der Pathétique mit MusicaAeterna unter Teodor Currentzis als Ereignis erster Güte. Jetzt hat Sony eine bereits im Sommer 2016 aufgenommene weitere sechste Sinfonie, diejenige Gustav Mahlers in eben dieser Besetzung auf den Markt gebracht. Damit trägt das japanische Label der rasant wachsenden Bedeutung der “Marke Theodor Currentzis” Rechnung. Der noch junge Dirigent griechischer Abstammung hat seit der Pathétique-Aufnahme seinem Ruf als formidabler Orchestererzieher erneut alle Ehre gemacht. Beginnend mit der aktuellen Spielzeit hat er neben seinem fortdauernden Engagement als Chefdirigent der Oper Perm, die er mit dem von ihm im fernen Sibirien gegründeten MusicaAeterna Orchester bespielt, die Leitung des SWR Sinfonieorchesters als deren erster Chefdirigent übernommen. Dieses Orchester, das 2016 in einer in Kulturkreisen weltweit bedauerten Zwangsfusion aus dem traditionsreichen SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg mit spezifischem Eigenklang und dem nicht minder traditionsreichen Radio-Sinfonieorchester Stuttgart mit ebenfalls spezifischem Eigenklang infolge einer offensichtlichen Fehlentscheidung des zuständigen Managements des SWR hervorgegangen ist, stolperte viel Monate lang ohne angemessene Führung mehr schlecht als recht, nicht Fisch nicht Fleisch, ohne eigenes Profil durch die Konzertlandschaft. Kein Wunder, dass jetzt, zwei sensationell erfolgreiche Konzertzyklen nach der Übernahme des unglücklichen Häufchens von SWR-Sinfonikern durch den neuen Chef, Teodor Currentzis unverhohlen als Messias gefeiert wird, dem es binnen kurzem gelungen ist, dem Orchester ein eigenständiges Profil mit spezifischem Eigenklang zu verleihen. Staunend nachhören und -sehen kann man das im Internet auf www.swr.de/swr-classic anhand von Videos des Mahlers dritter Sinfonie gewidmeten Saisoneröffnungskonzerts. Da darf man gespannt sein, in welche Höhen sich das bereits jetzt wie ein edles Kammermusikensemble tönende SWR-Sinfonieorchester unter Teodor Currentzis noch aufschwingen wird.
Das MusicaAeterna Ensemble zeichnet sich ebenfalls durch ein über die Jahre an der Wiener Klassik ebenso wie an russischen Kompositionen geschultes, eigenständiges Profil mit spezifischem Eigenklang aus, das sich nicht nur vom Profil des SWR Ensembles, sondern auch vom Profil anderer Sinfonieorchester der Oberliga durch extreme Flexibilität und ungeschönten Sound deutlich unterscheidet. In der Aufnahme von Mahlers sechster Sinfonie deren langsamer Satz wie ursprünglich konzipiert die dritte Position einnimmt, brillieren die Bläser durch geschmeidige Tonbildung und scheinbar unendliche Atemkapazität. Die Streicher ihrerseits bilden einen deutlich von den Bläsern abgetrennten Block, was der Intention des Dirigenten entgegenkommt, diesen sinfonischen Koloss Mahlers emotionell hoch aufzuladen, die Binnenstrukturen der Sinfonie sorgfältig freizulegen und das Zeitmaß den Melodien anzupassen, um diese angemessen auszusingen. Das Ergebnis ist eine höchst eigenwillige, durchgehend spannende und überzeugende Interpretation Mahlers tragischer Sinfonie. Entstanden ist die Aufnahme in einem Moskauer Studio unter nicht ganz optimalen akustischen Bedingungen mit üppig Hall und einer gewöhnungsbedürftigen Schwimmbad-Akustik, die vom Orchester und seinem Dirigenten bestmöglich gemeistert wird, was für die hohe Professionalität aller ausführenden Beteiligten spricht. Weitere Mahlerproduktionen in der Besetzung der sechsten Mahlersinfonie sind geplant, wobei die aktuellen Konzerte von MusicaAeterna nahelegen, dass als Nächstes mit einer Aufnahme der vierten Sinfonie von Mahler zu rechnen ist.
MusicAeterna
Teodor Currentzis, Leitung