Jessie J
Biographie Jessie J
Jessie J
Ihr ansteckendes Lachen kündigt sie schon von weitem an, dann betritt sie mit ihren 15-Zentimeter-Absätzen und dem perfekt sitzenden Bob den Raum und setzt sich erst mal ans Klavier. Die Rede ist von Jessie J, jener britischen Überfliegerin, die in ihrer Heimat schon längst für ihre Stimmgewalt, ihr ausgefeiltes Songwriting, ihren ausgeprägten Sinn für Humor und nicht zuletzt für ihren grandiosen Look bekannt ist.
Gerade erst wurde sie beim renommierten "Sound of 2011" -Ranking von der BBC auf Platz #1 gewählt, und sie steht schon jetzt als Gewinnerin des Critic’s Choice Award 2011 bei den BRIT Awards fest, womit sie im Februar, wenn sie den Preis in Empfang nehmen darf, in die Fußstapfen von Ellie Goulding (Gewinnerin 2010), Florence & The Machine (2009) und Adele (2008) tritt.
Mit heftigem Akzent sagt sie dann: "Nur kann ich leider gar nicht spielen. Oh Mann, ich wünschte, ich hätte das irgendwann gelernt. Trotzdem tue ich gerne so, als ob ich Klavier spielen könnte", sagt sie und lächelt.
Jessie J ist weitaus mehr als irgendein aufsteigender Stern am Pop-Himmel – beziehungsweise am R&B-Himmel oder am HipHop-Himmel (schließlich fließen in ihrem Sound diverse Stile zusammen). Die in Essex aufgewachsene Sängerin ist definitiv in ganz unterschiedlichen Genres beheimatet; sie passt ihr Talent gewissermaßen jedem Style an, zu dem man sich das Herz aus dem Leib singen kann, und wenn sie loslegt, fühlt man sich automatisch in die Motown-Ära zurückversetzt. Auch wenn sie keine Klavierstunden hatte, gelingt es ihr allein mit dieser Stimme, die Leute umzuhauen; dazu verfügt sie über das nötige Können als Songschreiberin – schließlich hat sie schon den einen oder anderen internationalen Megahit geschrieben...
Schon beim ersten Anhören liegt auf der Hand, dass Jessies Sound vollkommen einzigartig ist: Auf ihrem Debütalbum "Who You Are" begegnet man einer begnadeten Songschreiberin, die ihre Zuhörer mit ihren grandiosen Texten auf eine Reise mitnimmt, die man so schnell nicht vergessen wird.
Selbst wenn der Weg zum Erfolg für sie bisweilen steinig war, betont Jessie nachdrücklich, wie gewöhnlich und unspektakulär ihre Kindheit doch war. Sie wuchs als jüngste Tochter mit zwei älteren Geschwistern auf; ihre Mutter war Kindergärtnerin, ihr Vater Sozialarbeiter. "Meine Familie ist schon sehr kreativ veranlagt, aber mit Gesang hatten die anderen nichts am Hut. Ich war die einzige, die ihre Erfahrungen permanent mit den passenden Melodien unterlegen musste."
Passende Melodien – das ist überhaupt ein zentrales Stichwort, denn die inzwischen 22-jährige Jessie jagt ihnen schon seit geraumer Zeit hinterher: Ihr allererster Song hieß "Big White Room"; sie schrieb ihn im zarten Alter von 17. Inspiriert hatte sie in diesem Fall ein Krankenhausaufenthalt, den sie als 11-Jährige durchstehen musste, wobei die eigentliche Tragik darin bestand, dass der Junge, mit dem sie sich das Zimmer teilte, schließlich starb.
"Mir war sofort klar, dass ich über diese Erfahrung einen Song verfassen musste", berichtet sie. Das Resultat verfolgt sie bis heute und spielt noch immer eine große Rolle in ihrer Karriere, denn "Big White Room" zählt nach wie vor zu den meistgeschauten YouTube-Videos von ihr, und die Fans jubeln am lautesten, wenn sie diese Nummer live präsentiert. Obwohl "Big White Room" nie offiziell im Radio lief, verzeichnet ihr Clip inzwischen rund 300 000 Hits; dazu existieren über 50 Coverversionen von anderen Usern. "Dieser Song fühlt sich wie eine Art musikalische Kuscheldecke an, wie etwas, das einem ein gutes und sicheres Gefühl gibt – und ich bin wahnsinnig froh darüber, dass die Leute den Text auch auf ihr Leben beziehen können."
Während der Track im Netz die Runde machte, unterzeichnete Jessie J einen Vertrag bei einem Indie-Label, der allerdings nicht lange halten sollte. Dann ging sie auf Tour und begleitete diverse hochkarätige Acts wie Macy Gray, die Sugababes, Girls Aloud, Chris Brown, Jools Holland, Cyndi Lauper oder auch den Überflieger Taio Cruz. Und während sie so immer mehr Menschen ihr stimmliches Können und ihre ansteckenden Songs präsentierte, nutzte Jessie die Gelegenheit, feilte weiterhin an ihrem Sound und lernte nebenbei auch noch, wie man ganz unterschiedliche Menschenmengen begeistern kann. "Ich hatte noch nie eine Band. Das war immer nur ich, die CD mit meinen Tracks und meine Heels – das musste genügen, um diese riesigen Bühnen zu füllen. Aber ich fand es toll, dass ich mich hinter nichts und niemandem verstecken konnte." Das einzige Problem war, dass ihr Label irgendwann Pleite ging und dichtmachte.
Da Jessie immer noch einen Publishing-Deal (mit der Sony) in der Tasche hatte, machte sie zunächst als Songschreiberin weiter und feilte auch hier fleißig an ihrem Können. Zum Glück sollte es gar nicht lange dauern, bis diverse Angebote auf ihrem Tisch landen sollten. So war einer ihrer Songs, "Sexy Silk", schon wenig später in einer internationalen Kampagne von NIVEA zu hören: „Ich weiß noch genau, wie ich den Clip zum ersten Mal im Kino gesehen hab und einfach nur rufen wollte: 'Der ist von mir! Der ist von mir!'" Dabei waren die Werbe-Deals erst der Anfang...
In den letzten paar Jahren hat Jessie als Songschreiberin unter anderem für Chris Brown und Lisa Lois gearbeitet, die Gewinnerin der holländischen "X Factor"-Show. Als Co-Autorin dachte sie sich zudem die Melodie eines absoluten Superhits aus: "Party In The U.S.A." von Miley Cyrus. "Als mir Dr. Luke dann eine SMS schickte, in der stand, dass mein Song in den iTunes-Charts auf Platz #1 lag, hielt ich das ehrlich gesagt für einen Witz", erzählt sie lachend.
Inzwischen ist Jessie bei Universal unter Vertrag – in den USA hat sie bei Lava/Universal Republic unterzeichnet. "Ich würde fast sagen, dass mein Album ein typisches Beispiel für die stilistische Bandbreite ist, die in der zeitgenössischen Musiklandschaft existiert. Es funktioniert also gewissermaßen wie ein iPod... Wenn man heutzutage in den Club geht, dann gibt es da keine unterschiedlichen Räume mehr, in denen entweder nur Pop oder nur R&B läuft. Stattdessen ist alles miteinander vermischt, und den Leuten ist das auch vollkommen egal, denn sie wollen einfach nur großartige Songs hören."
"Who You Are", das Titelstück ihres Longplayers und zugleich die erste Singleauskopplung, handelt von einem Punkt in Jessies Karriere, an dem für sie alles an einem seidenen Faden hing: "Das wichtigste Ziel im Leben ist doch, dass man glücklich ist; aber an diesem Punkt erschien mir das alles viel zu ernst, zu steril und zu sehr auf Geld konzentriert zu sein. Ich spielte deshalb ernsthaft mit dem Gedanken, einfach alles hinzuschmeißen – also nicht der Musik, aber doch der Musikindustrie den Rücken zu kehren. Das war schon eine ziemlich schwierige Phase", berichtet sie. "Ich war vollkommen am Ende. Aber wenn ich am Ende bin, dann schreibe ich normalerweise einfach einen Song darüber."
Nun sind natürlich nicht all ihre Songs in derartigen Stimmungstiefs entstanden. Im Gegenteil: Passend zu ihrer Person klingen die meisten Tracks von "Who You Are" absolut ausgelassen und eher nach der Art von Party, die schon bei "Party In The U.S.A." rauszuhören war. Zu weiteren Highlights des Albums (die übrigens bei YouTube bereits wie eine Bombe eingeschlagen sind) zählen unter anderem "Rainbow", "Stand Up" und "Whose Laughing Now", die allesamt von Jessies persönlichen Erlebnissen handeln.
Kombiniert man Elemente von Rihanna und Gwen Stefani in einer Person, gibt dann noch das Charisma von Pink hinzu – und schon bekommt man eine ungefähre Idee davon, mit was für einer Künstlerin man es hier zu tun hat. Denn so gut sie auch darin sein mag, emotionale Durststrecken und schwierige Zeiten in grandiose Songs zu verwandeln, darf man nicht übersehen, dass diese satte Soul-Stimme auch den perfekten Soundtrack für ultimative Höhenflüge und ausgelassene Stunden abgeben kann. Als Beispiel soll der von Dr. Luke (Katy Perry, Kelly Clarkson, Miley Cyrus) produzierte Track "Price Tag" genügen: ein absolut positiver Dance-Track, über dem Jessies Stimme perfekt zur Geltung kommt.
Und dann wäre da noch "Mamma Knows Best", in ihrem Live-Set längst ein Klassiker, auf dem Jessie noch einmal ihren gewaltigen Stimmumfang präsentiert und eine Ode auf ihre liebevollen Eltern zum Besten gibt, die einfach nur funky klingt. „Meine Mom und mein Dad wissen halt immer, was gut für mich ist. Manchmal fällt es mir zwar schwer das zuzugeben, aber der Song bringt das schon sehr gut auf den Punkt. Was mein Selbstvertrauen angeht: Das ziehe ich aus der Tatsache, dass ich ein anständiges Mädchen bin, denn ich will durchaus ein Vorbild für andere sein. Die Leute sollen wissen, dass ich einfach nur ich selbst bin. Mein Plan ist es, die guten und die schlechten Seiten des Lebens in meinen Songs zu präsentieren, weil ich damit zeigen will, dass es letzten Endes immer nur darum geht, du selbst zu sein; deshalb auch 'Who You Are'."