Afro Cuban All Stars
Biographie Afro Cuban All Stars
Afro Cuban All Stars
Zwanzig Jahre ist es her, dass die ganze Welt die kubanische Musik wiederentdeckte. Dank des ersten Albums des Buena Vista Social Clubs und dem zwei Jahre später auf der 49. Berlinale uraufgeführten Dokumentarfilm über die fast vergessenen Musikerlegenden von der Zuckerinsel feierte der Son cubano eine Renaissance. Dass gerade die US-Amerikaner und Europäer (und da nicht zuletzt die Deutschen) so hellhörig wurden, mag auch daran gelegen haben, dass die alten Recken Ibrahim Ferrer, Rubén González, Compay Segundo, die sich im zarten Alter von 70, 78 und 90 auf Weltreise begeben, zwei prominente Fürsprecher hatten. Zum einen den US-Gitarristen Ry Cooder, der mit Juan de Marcos González Cárdenas die Musik aus den 1940er und 1950er-Jahren für die Aufnahmen zusammengestellte, zum anderen der musikaffine deutsche Filmregisseur Wim Wenders („Paris, Texas“ mit Musik von Cooder, „Lisbon Story“, „The Million Dollar Hotel“), der vom Mentor eingeladen nicht nur Konzertszenen, sondern zudem den morbiden Charme Havannas einfing und vor allem die Protagonisten zu Wort kommen ließ. Mehr Authentizität ging nicht und trug entsprechend zur Legendenbildung bei. Das CD-Debüt (eine Nr. 1 in den deutschen Albumcharts) verkaufte sich 8 Millionen mal und gilt als meistverkauftes Weltmusik-Album aller Zeiten. Insgesamt wurden gut 15 Millionen Platten all ihrer Veröffentlichungen als Buena Vista Social Club umgesetzt. Wenders Film heimste viele Preise ein, wurde für einen Oscar nominiert.
Das Faszinierende und vielleicht auch Überraschenden an dieser Geschichte in unserer schnelllebigen Zeit ist vielleicht dies: Vieles, was unter dem plötzlich hippen Label „World Music“ seit Ende der Achtzigerjahre, egal von welchem Kontinent, die Aufmerksamkeit der Medien und Musikfans fand, verschwand als One-Hit-Wonder ganz schnell wieder in der Versenkung. Nur ein kurzer Hype statt Nachhaltigkeit. Nicht so die Música de Cuba. Die kam über den Rest der Welt, um zu bleiben. Warum, kann man nur mutmaßen. Ganz sicher nicht aus rein nostalgischen Motiven. Geschichte hin, Zeitreise her – die Musik kam im Hier und Jetzt an, erreichte nicht nur Weltmusikfans, sondern auch Jazzliebhaber, Kopfmenschen wie Tänzer. Denn hier wurde ein rhythmisches Feuerwerk abgebrannt und das Sentiment zugleich bedient. „Musik ist unsere Seele“, wird man von allen kubanischen Musiker zu hören bekommen. Oder: „Musik war immer unser Ventil.“ Wo doch die Revolution am liebsten das Tanzen und Singen verboten hätte. Das erklärt die überbordende Emotionalität, die berührt, die mitreißt.
Und so darf die westliche Welt auch 2017 weiter teilhaben am „Sound des Proletariats in Kuba“ (Kontrabassist Orlando „Cachaíto" López), weil Juan de Marcos, Ry Cooders kongenialer Partner beim Abenteuer Buena Vista Social Club, gerne mal wegen seiner Omnipräsenz zum „Th e Quincy Jones of Cuban Music“ geadelt, weiter mit den Afro Cuban All Stars tourt. Die produzierten vor dem Buena Vista Social Club Platten, bei „A Toda Cuba Le Gusta“ war schon das „Traumpaar“ Ibrahim Ferrer und Rubén González dabei. Insofern kann man de Marcos Afro-Cuban All Stars guten Gewissens als die Keimzelle des Social Clubs nennen. Die präsentieren sich aktuell auf dem neuen Album „Absolutely Live II“ (das erste seit sechs Jahren) – mit Mitschnitten des vielköpfigen Ensembles aus Konzerten beim Cervantino International Festival in Guanajuato, Mexico, und dem Strathmore Center for the Arts in North Bethesda, Maryland, USA. Die Aufnahmen sind auch ein Tribut an die Gründungsmitglieder der Afro Cuban All Stars, Rubén González, Compay Segundo, Manuel Licea, Pio Leyva und Raul Planas und eine Widmung an Mexiko, einer Nation, die sich verdient gemacht hat als Unterstützer kubanischer Menschen. Eklektisch nennen de Marcos das musikalische Angebot des Livemitschnitts. Denn längst fühlt man sich nicht nur dem Son verpflichtet, würzt den afro-kubanischen Jazz mit unterschiedlichen Rhythmen, darunter auch Cha-Cha-Cha und Rumba. Na all den Jahren des enormen wie unerwarteten, aber genauso verdienten Erfolgen mit vier Grammy-Nominierungen, sind die All Stars heute das bekannteste kubanische Orchester nach Los Van Van und Irakere. Längst ist das Ensemble ein generationsübergreifendes Unternehmen, denn der Bandleader hat immer Wert darauf gelegt, junge Musiker zu integrieren und so ein Konzept zu entwickeln, dessen Ziel er als „sich den Wurzeln für die Gestaltung der Zukunft zu stellen“ formuliert. Jugend trifft auf Erfahrung. Da wird wie zuletzt in Wisconsin auch mal ein Rapper auf die Bühne geladen. Und die Klangpalette des Orchesters erweitert, in dem er Instrumente wie Bassklarinette oder Vibraphon featurert, die sonst in kubanischen Orchestern nicht zu hören sind.
So reicht die Skala des Präsentierten von der coolen Intimität des Son bis zu den heißen, ausgelassenen Latin Jazz- und Mambo-Big Band-Arrangements. Das Live-Album ist auch ein lebendiges Dokument des Genies und des Charismas des 63-Jährigen Juan de Marcos Gonzáles. Der hat übrigens, anders als man wegen seines unermüdlichen
Einsatzes für die Kultur seiner Heimat vermuten mag, eine äußerst erstaunliche Biografie. So studierte er zunächst klassische Gitarre am Havana Conservatory, widmete sich aber auch dem Studium des Wasserbaus, lernte Russisch und Englisch. The best of two worlds. Wenn auch meist nur auf die Gründung seiner Band Sierra Maestra während seiner Studienzeit 1976 hingewiesen wird, mit der schon den Son wiederbelebt werden sollte, gibt das Multitalent in Interviews auch gerne zu, dem Rock’n’Roll zugeneigt gewesen zu sein. Nicht nur, weil es dem gelang, sogar Castros Cuba zu infiltrieren. „Wir wollten wohl so etwas wie tropische Jimi Hendrixes werden, unabhängig davon, wie stark wir uns in den kubanischen Klassikern verwurzelt sahen“, hat er mal erzählt. Da wurden King Crimson, Cream, Creedence Clearwater Revival, Jethro Tull und Yes gecovert. „Gerne wurde das zuhause nicht gern gesehen”, kommentiert der verkappte Rocker.
Die Rebellion hielt sich eher in Grenzen, der Mann genoss die Freiheit, in der ganzen Welt herumzukommen und 1994 begann seiner Zusammenarbeit mit dem Londoner Plattenlabel World Circuit. Da wurde der Grundstein für die späteren Erfolge gelegt. Die bleiben ihm bei allem Selbstbewusstsein auch bis heute noch ein Rätsel. „Mit Aufnahmen solch traditioneller Musik so viele Platten weltweit zu verkaufen, das ist doch unglaublich“, verweist er nicht ohne Stolz darauf, die Bestseller unter den kubanischen Künstler zu sein. „Mit Ausnahme vielleicht von Gloria Estefan – und die macht Popmusik“, lacht er. Kubanische Musik habe vor dem Erscheinen des Buena Vista Social Clubs auf der Weltbühne viel zu lange keine Rolle gespielt, auch und vor allem aus politischen Gründen. „Aber der Reichtum dieser Musik war ja nicht verloren gegangen.“ So schön und wichtig es für die vielen inzwischen leider verstorbenen Helden des Son war, sich den herzlichen und ehrlichen Beifall für ihre Musik in der ganzen Welt abzuholen, fast bedeutsamer war es für de Marcos, dass die Musik der Veteranen in der Heimat wieder wahrgenommen wurden. „Viele junge Künstler, auch Hip-Hop-Bands und Rapper, begannen plötzlich, traditionelle Elemente in ihren Sound einfließen zu lassen.“ Die Zukunft der Vergangenheit beginnt in der Gegenwart. www.afrocubanallstarsonline.com (Detlef Kinsler)