Henrik Schwarz & Bugge Wesseltoft


Biography Henrik Schwarz & Bugge Wesseltoft


Henrik Schwarz
ist seit langem eine andere Art von elektronischem Künstler, der nicht ganz dem entspricht, was man von jemandem erwarten würde, der einen Großteil seiner Karriere dem House und Techno gewidmet hat. Mit seinem jüngsten Schwarzmann-Projekt hat er jedoch die Grenzen mehr als je zuvor verschoben und wohl neu definiert, was es für einen elektronischen Künstler bedeutet, "live" aufzutreten. Hier untersucht Greg Sawyer von Defected die Feinheiten von Schwarz' außergewöhnlicher Karriere.

Damals - und ich spreche hier von einer Zeit, die 20 oder mehr Jahre zurückliegt, falls Ihr Gedächtnis das verkraften kann - haben Produzenten nicht nur Platten gemacht, um aufzulegen. Heutzutage ist es ein fester Bestandteil des elektronischen Musikgeschäfts, dass man, um den Sprung vom obsessiven Hobby zur Karriere zu schaffen, mit ziemlicher Sicherheit auch als DJ auftreten muss, und während einige zweifellos immer noch aus echter Liebe zur Musik produzieren, erlaubt es einem gesunden Teil der Studiozeit einfach, das zu tun, was sie schon immer in Clubs und auf Festivals auf der ganzen Welt tun wollten. Als Henrik Schwarz seine Karriere begann, war genau das Gegenteil der Fall.

Schwarz sah das DJ-Dasein nie als Ziel, eher als notwendigen Schritt: Es war die Musik, die ihn interessierte. Das Auflegen war für ihn damals einfach das, was ihm am nächsten kam. "Ich wollte schon immer meine eigene Musik machen, das war für mich immer klar", sagt Schwarz. "Aber aus irgendeinem Grund habe ich nie ein Instrument gelernt. Als DJ habe ich einfach versucht, der Musik, die ich liebe, so nahe wie möglich zu kommen. Das bedeutete oft lange Fahrten in größere Städte und sogar in die Schweiz, um die britischen und US-amerikanischen Importe zu finden, die einen Großteil seines frühen, auf Hip-Hop ausgerichteten Geschmacks ausmachten.

Heutzutage legt Schwarz nicht mehr als DJ auf, aber er vermisst es nicht. "Ich habe erst kürzlich über das Auflegen nachgedacht, weil ich noch Tausende von Platten zu Hause habe. Es wäre natürlich schön, sie aufzulegen, denn ich habe das Auflegen immer geliebt, aber es wäre so viel Arbeit, wieder damit anzufangen. Ich würde es ernsthaft machen wollen, und ich bräuchte ein halbes Jahr, um zuzuhören und ein Set vorzubereiten, das niemand sonst spielen würde. Vielleicht würde ich es irgendwann tun, aber jetzt hätte ich keine Zeit dafür." Dass Schwarz keine Zeit für die Wiederentdeckung seines früheren Lebens als DJ hätte, ist ein Beweis dafür, wie erfolgreich er sich nicht nur als einer der führenden Elektronikproduzenten seiner Zeit, sondern auch als gefragter Live-Act etabliert hat.

Schwarz hat fast sein ganzes Leben der Produktion elektronischer Musik gewidmet und bewegt sich dabei meist in den oft austauschbaren Parametern von House und Techno, was für einen so offensichtlich talentierten und kreativen Musiker wie ihn vielleicht ungewöhnlich ist. Kritiker sehen die 4/4-Struktur dieser Genres als einschränkend und erdrückend an, da sie den Erfindungsreichtum zu Gunsten der Bewegung der Tanzfläche ausblendet. Doch für Schwarz ist genau das Gegenteil der Fall. "Ich habe mich in der elektronischen Musik völlig frei gefühlt, weil der 4/4-Takt für mich die Brücke ins Unbekannte ist", gesteht er. "Zwischen zwei Bassdrums kann man alles machen, und sie halten es zusammen. Man kann den verrücktesten Sound machen und eine Bassdrum dazwischen setzen und jeder liebt es! So habe ich es immer empfunden, es kann völlig offen sein."

Es ist ein Ansatz, den man nur schwer widerlegen kann, wenn man seine Ergebnisse betrachtet. Seine Diskografie ist - mit einem Wort - atemberaubend; eine reiche Ader an Qualität zieht sich durch sie hindurch. Und doch, so konsistent sie auch ist, man wird sich schwer tun, den Sound, die Technik oder den Ansatz zu finden, der sie als eine Henrik Schwarz-Produktion ausweist. Während andere sich auf Schablonen verlassen und bereits gut aufgenommene Harmonien oder Drum-Patterns abwandeln, um ihren nächsten "Hit" zu kreieren, beginnt Schwarz mit einer leeren Leinwand, mit dem Ergebnis, dass jede Platte einzigartig ist; eine völlig unabhängige Ergänzung zu einem der beeindruckendsten Werke der elektronischen Musik.

Ist er der Meinung, dass die Leute jetzt, wo der Einstieg in die Musikproduktion so niedrig ist - eine bedeutende Veränderung im Vergleich zu seinen Anfängen -, zu sehr darauf achten, wie die Musik gemacht wird, anstatt auf das Ergebnis? "Ich glaube, sie achten so sehr darauf, weil sich vieles verändert hat; es ist nicht mehr nur eine sehr begrenzte Anzahl von Leuten, die Musik machen. Jeder will an diesem riesigen Geschäft teilhaben, und die Computer haben das möglich gemacht. Aber ich denke, das ist eine gute Sache, weil wir jetzt ständig mit Technologie zu tun haben: Musik zu machen ist eine Art, mit Technologie auf einer sehr abstrakten Ebene umzugehen."

Seine ersten Versuche, eigene Klänge zu erzeugen, unternahm Schwarz bereits in jungen Jahren. "Das erste, was mich wirklich interessierte, war mein erster Kassettenrekorder, den ich mit etwa neun Jahren bekam", erinnert er sich. "Als mein Bruder ein paar Jahre später auch eines bekam, fing ich an, sie übereinander zu legen und mit einem Mikrofon aufzunehmen, weil ich nicht wusste, dass man sie mit Kabeln verbinden konnte. So fing alles an. Als die Computer aufkamen, dachte ich, dass sie etwas sein könnten, mit dem ich Musik machen könnte.

Ein unschätzbares Instrument in Schwarz' Karriere: Computer haben es elektronischen Künstlern ermöglicht, "live" aufzutreten - mehr oder weniger stark, aber nur wenige haben die Idee der elektronischen Live-Performance so weiterentwickelt wie er, insbesondere im Hinblick auf sein Schwarzmann-Projekt. Zusammen mit Wiedemann von Âme hat Schwarzmann das Regelwerk dessen, was von einem Live-Act erwartet werden kann, zerrissen und etwas geschaffen, das wohl kreativer ist als jede traditionelle Band und weitaus vielseitiger als das vielseitigste DJ-Set.

"Schwarzmann" ist eine Idee, die Frank und ich vor ein paar Jahren hatten", erinnert er sich. "Wir spielen nun schon seit über zehn Jahren zusammen und wollten versuchen, ein richtiges Konzept zu entwickeln, anstatt einfach nur eine Back-to-Back-Liveshow zu machen." Dieses Konzept bestand darin, live Covers ihrer eigenen Musik zu spielen, was zu einem Set führte, das je nach Umgebung, Stimmung des Publikums und tausend anderen Faktoren, die ins Spiel kommen können, anpassbar ist. "Musikalisch haben wir eine sehr starke Verbindung, also war es am Anfang ein Experiment, um zu sehen, was passiert, wenn wir nichts vorbereiten. Es ist völlig untypisch für die Elektronik", sagt er abschließend.

Auch wenn eine Band je nach Location oder Publikum eine andere Setlist hat, so ist sie doch letztlich an die Songs gebunden, die sie geschrieben hat, von ein wenig Improvisation einmal abgesehen. Genauso kann ein DJ nur die Platten spielen, die er mitbringt. Bei Schwarzmann sind die Möglichkeiten grenzenlos, ob es sich nun um stampfenden Freeform-Techno beim Melt! Festival oder eine Stunde ätherischer Beatlessness im Londoner Oval Space im letzten Jahr. "Vielleicht kommt es in der elektronischen Musik nicht oft vor, dass Dinge unvorbereitet passieren, und das macht es noch einzigartiger: Plattenmachen in Echtzeit", meint er.

Je länger Schwarz' Karriere andauert, desto mehr scheint es, als würde er sich dem Experimentieren zuwenden und Grenzen verschieben, die für manche ein bequemes Kästchen sind, in das sie sich einfügen können. Hat er das Gefühl, dass dies der Fall ist? "Da ich das schon lange mache, hatte ich das Gefühl, ich könnte ein paar Dinge ausprobieren, natürlich immer noch meine Sachen spielen, aber vielleicht ein bisschen weiter ausholen und sehen, was es gibt. Es ist diese neugierige Einstellung, die ihn zu einem unvergleichlichen - und beliebten - Künstler gemacht hat; der Wunsch, sich nicht mit dem Bewährten zufrieden zu geben, sondern immer weiter und tiefer in das Mögliche vorzustoßen.

"In gewisser Weise bin ich einfach daran interessiert, was ich meinem Computer hinzufügen kann. Wie funktioniert er? Wie kann ich ihn mit anderen Welten verbinden, und in gewisser Weise fühlt sich das für mich ganz natürlich an, weil ich das Gefühl habe, dass ich das schon immer gemacht habe. Ich habe immer versucht, Dinge von außen in den Computer zu bringen, Klänge, die normalerweise nicht zur elektronischen Musik gehören, in die elektronische Musik zu bringen, und jetzt ist es vielleicht an der Zeit, das umzukehren.

Bugge Wesseltoft
Seit der norwegische Keyboarder 1990 als Mitglied der Band von Bassist Arild Andersen die internationale Jazzszene betrat, hat er eine wirklich beeindruckende Wandlung durchgemacht: Weg von den nordischen Jazztraditionen, die er u.a. mit Landsleuten wie Jan Garbarek und Andersen auf Alben für ECM hegte und pflegte, hin zu seiner eigenen neuen Konzeption des Jazz, die sich nicht scheut, Elemente von Deep House, Ambient Music, Drum’n’Bass, Big Beat und Funk gleichberechtigt zu integrieren.

Jazz aus Norwegen ist jahrzehntelang weltweit - außer natürlich in Norwegen selbst - vor allem mit dem in München beheimateten ECM-Label des deutschen Produzenten Manfred Eicher assoziiert worden. Seit Eicher ab 1970 (meist im Team mit dem exzellenten Osloer Toningenieur Jan Erik Kongshaug) Aufnahmen von Jan Garbarek, Terje Rypdal, Arild Andersen, Sidsel Endresen, Jon Balke und zuletzt Ketil Bjørnstad produzierte und auch international erfolgreich lancierte, gilt das ECM-Label unter anderem als Brutstelle dieser speziellen Variante des Jazz.

Ungeachtet der eigentlich kaum zu überhörenden Tatsache, daß Garbarek, Rypdal, Andersen und Co. trotz mancher Gemeinsamkeiten doch über sehr unterschiedliche musikalische Eigenheiten verfügen, zimmerten europäische und amerikanische Kritiker - in meist gar nicht mal böser Absicht - mit professioneller Hingabe aus mehr oder minder netten folkloristischen Clichés eine Schublade, in die fortan alle norwegischen Jazzkünstler ebenso ungefragt wie unreflektiert hineingesteckt wurden.

Aus genau dieser Cliché-Schublade hüpfte 1996 wie ein Springteufel der damals 32jährige Keyboarder und Sound-Tüftler Jens Bugge Wesseltoft mit seinem Album ”New Conception Of Jazz”. Wesseltofts musikalische Biographie weist zwar eine ganze Reihe von Verknüpfungspunkten zu den meisten der vorgenannten norwegischen Künstler auf. Darüberhinaus arbeitete er aber auch mit stilistisch ganz anders orientierten Künstlern wie dem Schlagzeuger Billy Cobham oder dem brasilianischen Popstar Gilberto Gil zusammen.

”Ich wollte etwas machen, das meine ganze musikalische Persönlichkeit widerspiegelt”, erläuterte der Keyboarder 1996 das Konzept seiner Einspielung. Dabei ist der Jazz definitiv Wesseltofts Ausgangspunkt. Sein Vater ist ein in Norwegen etablierter Jazzgitarrist und so wuchs Bugge daheim mit Platten wie Miles Davis’ ”Kind Of Blue” auf. Wie viele aufstrebende Jazzmusiker seiner Generation bezog er seine Inspiration primär von amerikanischen Größen wie Miles Davis, John Coltrane, Herbie Hancock und Chick Corea. Dazu gesellten sich dank der norwegischen Herkunft aber bald auch Leitbilder vom Schlage Jan Garbareks, Terje Rypdals, Arild Andersens und Jon Christensens.

Später, nachdem er selbst eine musikalische Laufbahn eingeschlagen hatte, konnte Bugge Wesseltoft mit diesen vier norwegischen ”Jazz-Gurus” zusammenarbeiten und eine Menge von ihnen lernen. Ebenso sehr hat sich Wesseltoft aber auch im Bereich der zeitgenössischen norwegischen Rockmusik umgetan, sowohl als Instrumentalist als auch als Produzent. All dies führte ihn musikalisch schließlich dorthin, wo man ihn heute findet: auf und zugleich zwischen allen stilistischen Stühlen. Und das breitgefächerte Spektrum seiner diversen Erfahrungen floß auf ausgesprochen natürliche Weise auch in sein ”neues Jazzkonzept” ein.

”Ich mag es, über eine bestimmte Form oder Soundscapes zu improvisieren”, gesteht Wesseltoft. ”Es fasziniert mich, rhythmische Elemente zu schaffen und eine Klanglandschaft metrisch zu manipulieren. Das ist für mich allemal interessanter und kreativer als das traditionelle Thema-Solo-Thema-Ding herunterzuspulen.”



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